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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers

Clark, Christopher, München, 2008, 414 Seiten

05.03.2017
 

Christopher Clark hat mit seinem in Großbritannien bereits 2000 erschienenen Werk „Wilhelm II. – Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers“ ein sehr gut recherchiertes und ausgewogenes Buch über eine der umstrittensten historischen Persönlichkeiten vorgelegt. Es ist keine vollständige Biographie, vielmehr eine Studie über die Macht des letzten deutschen Kaisers.

Er empfindet Wilhelm als unorganisiert, schwach und ungestüm aber keineswegs als den geisteskranken, vor Eitelkeit und Selbstüberschätzung strotzenden narzisstischen Kriegshetzer, als der er gemeinhin gilt.
Interessant ist ferner, dass Clark der Tatsache gar keine Beachtung schenkt, dass „the Kaiser“ - wie er im Englischen schlicht genannt wird - seit seiner komplizierten Geburt einen schwer verletzten und Zeit seines Lebens verkürzten und gelähmten linken Arm hat.


Mit seiner äußerst traditionellen Auffassung vom Kaisertum zeigte Wilhelm nach Meinung vieler Historiker kein Verständnis für die Anforderungen einer modernen konstitutionellen Monarchie und er gilt häufig auch als Bindeglied zwischen dem viktorianischen Reich und Auschwitz.

Der Historiker Christopher Clark jedoch blickt zuerst auf Wilhelms schwierige Kindheit und Jugend, untersucht sein außen- wie innenpolitisches Wirken und betrachtet schließlich auch dessen Rolle im Sommer 1914.

Sein Ziel ist nicht die Rehabilitierung Wilhelms und doch fragt er zu Recht, ob er nicht zur Symbolfigur für etwas gemacht wurde, das weit über seine Person hinausreicht und viel größer ist als er selbst: die Zerstörung und das Grauen beider Weltkriege und die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten.

 
Also, wie viel Macht hatte der letzte deutsche Kaiser wirklich???

An dieser Stelle bietet es sich an, den Preußenexperten Clark selbst zu Wort kommen zu lassen: “Er bleibt ... ein intelligenter Mensch, ausgestattet allerdings mit einem schlechten Urteilvermögen, der zu taktlosen Ausbrüchen und kurzlebigen Begeisterungen tendierte, eine ängstliche, zur Panik neigende Gestalt, die häufig impulsiv aus einem Gefühl der Schwäche und Bedrohung heraus handelte. Indem seine Äußerungen und Handlungen in den zugehörigen Kontext eingebettet werden, trachtet die Studie danach, Verunglimpfung und Verständnis wieder in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu bringen. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Gesagten ziehen? Wilhelms Auffassung von Macht und ihrer Anwendung war keineswegs das absonderliche Hirngespinst eines gestörten Verstandes. Sie wurde geprägt zum einen von einem familiären Hintergrund, der durch machtpolitische Auseinandersetzungen auf einzigartige Weise erschüttert worden war, und zum anderen von Bismarck, dem Titanen, der Wilhelms politische Erziehung so massiv überschattete.“

C.G.Röhl, der am 31. Mai 1938 in London geborene britische Historiker, gilt als einer der führenden Experten und Kritiker der Wilhelminischen Zeit und wurde vor allem durch seine dreibändige Biografie des letzten deutschen Kaisers bekannt. Darin vertritt er die These vom „Persönlichen Regiment“ Wilhelms und er sieht in ihm auch den Alleinverantwortlichen für die Katastrophen der deutschen Politik.

Im Gegensatz zu Röhl empfindet Clark den Kaiser als Kind seiner Zeit, der Zeit der Jahrhundertwende: eine Zeit der Widersprüche und großen Veränderungen: Deutschland befindet sich in einer nervösen „Fin de Siècle-Stimmung.

Eine Frage liegt klar auf der Hand: Warum wird die Erforschung Wilhelm II. von Angelsachsen dominiert? Nicht zuletzt, weil in Großbritannien der

1. Weltkrieg bis heute als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ gilt.

Fazit: Ein nicht immer ganz leicht zu lesendes, aber mit wissenschaftlicher Gründlichkeit geschriebenes Buch über eine der interessantesten historischen Persönlichkeiten.

 
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Sir Christopher Munro Clark kommt am 14. März 1960 im australischen Sydney zur Welt.

Die Forschungsschwerpunkte des in Großbritannien lebenden und u.a. in Cambridge lehrenden Historikers sind die Geschichte Preußens und der Erste Weltkrieg.

Für seine Verdienste um die anglo-deutschen Beziehungen wurde er 2015 von der Queen zum Ritter geschlagen.

Bekannt ist er dem deutschen Fernsehpublikum auch durch die ZDF-Reihe „Deutschland-Saga“, die sich an der Erkundung unserer nationalen Identität versucht und in der sich der Bestseller-Autor als humoriger Conférencier erweist.

 

/Ella Freudenreich
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